Zoya Sadri
geboren am 21.12.1955 in Teheran
gestorben am 20.12.2024 in Darmstadt
Weibliche Schemen hinter Ornamentgittern
Zum Tode der iranisch-deutschen Künstlerin Zoya Sadri
Es waren die biographischen Umstände, die bewirkten, dass es eine ganze Weile dauerte, bis sie „ins Eigene“ fand. Im selben Jahr 1979, als im Iran die streng-religiösen Mullahs an die Macht kamen, schloss Zoya Sadri, gerade 23-jährig, ihr Kunststudium an der Universität Teheran ab. Als sie 1990 ein Aufbaustudium in Bildender Kunst an der Mainzer Gutenberg-Universität begann, lagen gravierende Lebenserfahrungen hinter ihr: die Gründung einer Familie; die Ausreise mit Mann und zwei Kindern aus einem repressiven Staat ins liberalere Deutschland. Wo es galt sich, gewiss nicht nur künstlerisch, neu zu orientieren. Wer sie bald danach kennenlernte, der merkte deutlich ihr Ringen darum, in einer gänzlich anderen Szene ihren Weg zu finden. Nichts war von den figurenreichen, pathetischen Gemälden, so typisch für die Malerei im nachrevolutionären Iran, ferner als das „anything goes“-Motto der westlichen Postmoderne. Zwangsläufig probierte Zoya in den neunziger Jahren mehrere Stile, mehrere Phasen durch – von figurativ bis elementarzeichenhaft-abstrakt.
Nachdrücklich in Erinnerung geblieben sind diesem Beobachter überdimensional groß auf die Leinwand gesetzte Frauenköpfe, unkörperlich flächig, duff, immer von einer gewissen Melancholie durchweht. Eine Melancholie, die stiller Begleiter auch der Person Zoya Sadri war. Erst im laufenden Jahrtausend schälte sich heraus, was ihr spezifischer Beitrag zur Kunst sein sollte. Diesmal jedoch mit der Biographie nicht als Hemmnis, sondern als Inspirationsquelle. Kalligraphische Schriftzeilen persischer Dichtung überzogen Papiermaché-Objekte; orientalische Ornamentik umrahmte und vergitterte schemenhafte Frauengestalten; zarte komplex-plastische Gebilde aus Transparentpapier beschworen die Symbolik von Schutzsuchen und -gewähren herauf; in einem märchenhaften malerischen Großformat wurde die iranisch-deutsche Künstlerin gar zur Erzählerin, indem sie sich inspirieren ließ vom altpersischen Epos „Schahname“, in ihrer Heimat jedem Kind vertraut. Eine Ausstellung im Museum Groß-Gerau gab Zoya 2015/16 die Chance, ihr Schaffen einmal umfassend zu präsentieren. Etwa zeitgleich mit dem Umzug ins Atelierhaus Darmstadt folgten die Erkundung neuer Techniken wie Zeichnung und Monotypie sowie Einzelausstellungen in der Schader-Stiftung und in der Stadtkirche. Es stimmt besonders bitter, dass Zoya Sadri gerade auf dem Höhepunkt ihrer Anerkennung stand, als sie binnen ein, zwei Jahren von einer bösartigen Krankheit dahingerafft wurde.
Dr. Roland Held
Christiane von Kessel, geb. Merck
geboren am 16.05.1929 in Darmstadt
gestorben am 03.08.2024 in Jugenheim
Im Dialog mit Mitmensch und Mitgeschöpf
Zum Tode der Bildhauerin Christiane von Kessel
Seit 1980 findet im württembergischen Fellbach die Triennale für Kleinplastik statt, heuer schon zum 16. mal. Liegt es daran, dass das internationale Kunst-Ereignis sich – laut Internet-Auftritt – „kompromisslos dem aktuellen Kunstdiskurs verpflichtet“ fühlt, wenn Christiane von Kessel (1929-2024) dort nie einen Auftritt hatte? Ein bedauerliches Versäumnis. Denn nicht nur zeigt sich nachgerade, dass in der Kleinplastik die Kernkompetenz dieser Künstlerin lag. Den Ergebnissen eignet auch etwas so Archaisch-Zeitloses, dass sie jeder angestrengten Aktualität immer schon voraus waren.
Von ihrer Ausbildung und den später ausgeübten Metiers her war Christiane von Kessel breit aufgestellt: 1949-54 erlernte sie die Holzbildhauerei bei Otto Hitzberger in Garmisch-Partenkirchen; 1958-63 ließ sie sich an der Münchner Akademie von Heinrich Kirchner in den Bronzeguss einweisen. Daneben zeichnete und aquarellierte sie, gestaltete Glasfenster für Kirchen, beherrschte mehrere druckgraphische Techniken, mit besonders originellen Blättern die seltene Farb-Monotypie. Als Spross der Merck-Familie geboren in Darmstadt, blieb sie ihren bayerischen Ausbildungsorten lebenslang verbunden und betrieb zwei Bildhauer-Ateliers parallel, eines in Garmisch und eines in Jugenheim. (Das ihr ebenfalls sehr am Herzen lag. Im Jahr 2007 stieß sie die Stiftung Heiligenberg Jugenheim an, deren Zweck die Bewahrung des Schlosses und des Landschaftsparks ist.)
Doch sollte man, wenn man von ihrem Schwerpunkt auf religiöser Thematik erfährt, nicht mutmaßen, es sei die wuchtige alpine Herrgottsschnitzerei, die es ihr angetan hätte. Altarkreuze, Krippenszenen, Engel, die Heiligen Drei Könige, die Vier Evangelisten, der Kreuzweg, das Letzte Abendmahl, das Lamm Gottes... Ob in Wachs aufgebaut für den Guss in Bronze oder in Linol geschnitten für den singulären Druck – was immer die von Kessel'sche Werkstatt verließ, war geprägt von einer handwerklichen Feinfühligkeit – überschaubar im Format, doch nicht geziert, anrührend, doch nicht süßlich. Namentlich die kleinplastischen Figuren und Szenen, nie bis in den letzten Mantelknopf ausgepfriemelt, trugen gleichsam noch den modellierenden Fingerabdruck ihrer Urheberin.
Zur Archaik des Ausdrucks gesellte sich das Frugale der Motive. In der Monotypie tritt die Distel der Rose gleichrangig auf. Analoges gilt erst recht, wo es um die Tierwelt geht. Keine edlen Pferde oder stolzen Löwen. Stattdessen demütige Esel und Schafe, eckige Ziegen, als vielbeinige Herde schon mal begleitet vom steckenbewehrten Hirten. Nur nichts heroisch oder theologisch Abgehobenes! „Im Zentrum ihres plastischen Werks steht der Mensch im Dialog mit seinem Mitmenschen“, hat Galerist Claus K. Netuschil einmal befunden. Man sollte „Mitmensch“ unbedingt ergänzen um „Mitgeschöpf“.
Dr. Roland Held